Dieses Buch war für mich ein ganz besonderes Leseerlebnis. Nicht nur, weil dieses Buch in meinen Augen einfach nur großartig ist (dazu später mehr), sondern auch, weil ich das Buch gelesen habe, ohne zu wissen, welches Buch ich gerade lese.
Eine Bookstagram-Freundin und ich haben uns gegenseitig „Mystery-Bücher“ geschenkt. D. h. wir haben uns jeweils aus den Lieblingsgenres der anderen eine Neuerscheinung herausgesucht, sie komplett verpackt, die ersten paar Seiten, aus denen ersichtlich ist, um welche*n Autor*in es sich handelt, „zusammengeklebt“ und sonstige sämtliche Hinweise im Buch, die auf Autor*in oder Titel schließen lassen, mit Edding übermalt bzw. mit Tipp-Ex ausradiert. Auspacken durften wir es erst nach Beenden des Buches.
Bei meinem Mystery-Buch handelt es sich um Lessons in Chemistry von Bonnie Garmus, z. dt. Eine Frage der Chemie und ich bin absolut begeistert!
Das Gute daran, dass ich überhaupt nicht wusste, welches Buch ich da gerade zu lesen begonnen hatte, ist, dass ich mich von nichts habe beeinflussen lassen. Weder von dem Cover, noch von dem Klappentext und schon gar nicht von irgendwelchen Lobeshymnen, Hypes, Shitstorms oder Rezensionen bzw. Bewertungen auf Social Media. Ich bin völlig unvoreingenommen und „frei“ in dieses Lesevergnügen gestartet und ich muss sagen, es hat sich richtig gut angefühlt, einfach nur zu lesen – ohne irgendwelche Informationen.
Bereits auf den ersten Seiten merkt man, dass das Buch irgendwie „anders“ ist. Dass es nicht nur um eine Frau in den späten 50er bzw. frühen 60er Jahren geht, eine Zeit, in der Frauen eigentlich so gut wie keine Rechte hatten und von der Gesellschafft lediglich als Hausfrau und Mutter angesehen wurden, die mal ordentlich auf den Tisch haut und all dem mit Witz und Sarkasmus entgegentritt und sich auflehnt.
Ich glaube – nein, ich weiß es sogar – Elizabeth Zott hat sich im Laufe dieser knapp 400 Seiten ganz weit nach oben, eigentlich sogar auf Platz 1 meiner „liebsten weiblichen Protagonistinnen“ geschlichen. Und das zu Recht.
Elizabeth Zott ist Chemikern; sie ist begabt und engagiert und versucht sich in ihrem Spezialgebiet, der Abiogenese, einen Namen zu machen. Doch im Jahr 1961 ist das alles andere als einfach – zumindest wenn man eine Frau ist. Sie wird kaum von jemandem ernst genommen, als „dummes kleines Frauchen“ abgestempelt und statt Unterstützung zu erhalten, werden ihr immer wieder neue Steine in den Weg gelegt. Und als sie dann auch noch, als unverheiratete Frau, schwanger wird, scheint ihre Situation aussichtslos. Bis sie von einem Fernsehsender entdeckt und für eine Kochsendung gecastet wird. Und weil Elizabeth sich nicht damit zufriedengeben möchte, dass Frauen angeblich nur hinter den Herd gehören, wird sie zwar zur Fernsehköchin, aber zu einer, mit der niemand gerechnet hat. Denn für Elizabeth ist Kochen eben auch bloß Chemie und das gibt sie ihren Zuschauer*innen mit auf den Weg.
Lessons in Chemistry oder auch Eine Frage der Chemie ist eine unglaublich tolle, feministische, charmante und kluge Geschichte, die aufrüttelt und zum Nachdenken anregt.
Es werden Themen wie Sexismus, Misogynie, sexuelle Übergriffe, die bis hin zu Vergewaltigungen reichen, (ungewollte) Schwangerschaft, Patriarchat, Glaube etc. pp. angesprochen.
Ich liebe alles an diesem Buch, allem voran die Charaktere, insbesondere natürlich Elizabeth und ihren Hund Six-Thirty. Aber auch ihre Tochter Mad und Harriet haben sich ganz schnell in mein Herz geschlichen.
Mit jeder Seite wurde ich ein bisschen mehr in die Geschichte hineingezogen. Die Geschichte zeichnet sich insbesondere auch durch den sarkastischen, klugen und amüsanten Schreibstil der Autorin aus, der nicht nur außerordentlich gut zu den vielen behandelten wichtigen Thematiken passt, sondern eben auch zu der überaus großartigen Elizabeth Zott.
Eine Sache möchte ich allerdings nicht unerwähnt lassen; etwas, was mich wirklich sehr beeindruckt hat. Die 50er und 60er Jahre waren für Frauen nicht einfach. Eigene Entfaltung war nicht möglich. Frauen zu erniedrigen und zu demütigen lag an der Tagesordnung, dies oftmals auch nur physische und psychische Gewalt. Die Autorin hat mit Elizabeth Zott keine Figur erschaffen, an der all das vorbei geht. Sie hat keine übermenschliche Superheldin erschaffen, die all diese Dinge abtun, in dem sie einmal kräftig mit der Faust auf den Tisch haut. Elizabeth Zott kommt mehr als einmal an ihre Grenzen; an die Grenzen jener Zeit. Trotz ihres starken Charakters bekommt sie sehr wohl die Auswirkungen der damaligen Gesellschaft zu spüren und gerät immer wieder ins Straucheln. Und genau aus diesem Grund fühlt sich diese Geschichte auch so unglaublich echt an.
So echt, dass ich selbst jetzt, nachdem es schon über eine Woche her ist, seit ich den Roman beendet habe, über die Geschichte und ihre Charaktere nachdenken muss. Ich habe ständig das Gefühl, dass wenn ich den Fernseher einschalte, plötzlich Elizabeth Zott darin auftaucht.
Dieses Buch hat einfach Spaß gemacht. Vermutlich hätte ich es ohne diese „Mystery Buch-Aktion“ niemals in die Hand genommen. Ich muss gestehen, der Klappentext spricht mich zwar an, allerdings nicht so, als dass ich mir das Buch selbst gekauft hätte. Es ist manchmal also doch von Vorteil, auch mal völlig blind in eine Geschichte reinzustolpern und sich ohne Wissen, um welches Buch oder um welche Geschichte es sich handelt, darauf einzulassen.
Dieses Buch ist ein absolutes Highlight für mich und jede Empfehlung wert!